verquer | 2009 | Folie | Hotel Beethoven / moving locations e.V., Bonn

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Ausstellung „Fully booked“, Hotel Beethoven / moving locations e.V., Bonn

 

Das blaue Hotel

 

Jede der künstlerischen Interventionen im ehemaligen Hotel Beethoven in Bonn erinnert auf ihre ganz besondere Weise an standortspezifische Kunstwerke, die von Mitte der Sechziger- bis Mitte der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts entstanden und von Künstlerinnen und Künstlern entwickelt wurden, die ästhetische Erfahrungen und Erkundungen über die Beschränkungen des traditionellen Galerieraums hinaus zu treiben suchten. Spätere Ausarbeitungen der frühen Interventionen auf architektonischem, urbanem und gesellschaftlichem Gebiet oder in der Natur haben die Möglichkeiten standortspezifischer Strategien erweitert und vertieft. Heute erleben wir eine Fülle an Kunstformen, die auf den öffentlichen Raum Bezug nehmen. Das geht sogar soweit, dass bei bedeutenden Ausstellungen zeitgenössischer Kunst den für die Galeriepräsentation vorgesehenen Werken eine ebenso große Menge dokumentarischer Materialien zu Aktivitäten außerhalb des Museums gegenübersteht. Das Hotel Beethoven wurde zu Beginn des Winters 2009 von einer Gruppe bildender Künstlerinnen und Künstler behutsam umgestaltet und definiert seine eigene Nische und eigene Kriterien von Präzision und Relevanz innerhalb dieses sehr weiten Feldes von standortspezifischer Kunst. Wie andere standortspezifische Projekte betont auch dieses den vergänglichen Charakter und die physische Basis des Erlebens. Die künstlerischen Arbeiten und Interventionen bedecken und transformieren Decken und Wände, Innen- und Außenräume, Fenster und Dach. So wird das Publikum dazu veranlasse im Gebäude umherzugehen, ohne ihm einen bevorzugten Standort anzubieten, von dem aus man das Gesamtbild erfassen könnte. Der Betrachter wird nie einfach so vor das Werk gestellt; die im Hotel Beethoven präsentierten Arbeiten bilden einen integralen Bestandteil ihrer Umgebung, sie sind Teil des Raums, den wir als Betrachter einnehmen, und Teil des Lichts, in dem wir sie sehen. Und wie viele andere temporäre Projekte im öffentlichen Raum stellt auch dieses die konventionelle Wahrnehmung des Ortes infrage. Es ist so, als sei dieses stillgelegte und in Kürze zum Abriss vorgesehene Hotel vorübergehend neu zum Leben erwacht, allerdings zu einem anderen Leben als vorher, zu einem zweiten Leben ohne die auf Bequemlichkeit abzielenden Routineabläufe und Regeln eines Hotelbetriebs. Das Gebäude ist zu einem merkwürdigen, von einer geisterhaften, nostalgischen und poetischen Atmosphäre durchdrungenen Ort geworden, an dem nichts mehr vorhersehbar ist und alle Anzeichen für Behaglichkeit verschwunden sind. Aus Sicht des normalen Hotelbesuchers hat dieser Raum also seinen unmittelbaren Zweck verloren. Auf eine ihm eigene stille Art fordert er, auf andere Weise erfahren zu werden.

 

Das Projekt im Hotel Beethoven ist dabei alles andere als eine abgedroschene Visualisierung von Freuds Unheimlichem und lässt sich mit Worten wie „Entfremdung" oder auch „Dekonstruktion" nur unzulänglich beschreiben. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Kunstwerke den Ort ganz allgemein zu etwas machen, das er vorher nicht war, und uns so gewissermaßen zwingen, unser Verständnis von ihm zu revidieren. Man könnte sagen, dass die Werke, soweit sie den dysfunktionellen Zustand des Gebäudes für sich nutzen, den Wert des Hotels verändern, indem sie verborgene Potenziale und unentdeckte Perspektiven erschließen. Aber die Interventionen im Hotel Beethoven wollen beim Betrachter keineswegs Gefühle von Entfremdung auslösen und ihn so auf Abstand halten; vielmehr geht es bei ihnen um Expansion, Inklusion und Präzision, so unterschiedlich sie in ihrer Herangehensweise auch sein mögen.

 

Expansive standortspezifische Strategien sind durch die Fähigkeit des Kunstwerks definiert, mit einer vorhandenen Umgebung so zu interagieren, dass sich spontan eine Reihe von möglichen Lesarten und Interpretationen eröffnet. Mit Expansion ist hier eine Lockerung von perzeptuellen und jnterpretatorischen Konventionen gemeint, die das Sinnverständnis behindern. Dies bedeutet auch, zwischen der üblichen Nutzung eines Ortes einerseits und seiner imaginären Existenzform andererseits Wege zu eröffnen. Christoph Dahlhausens Spiegelbodenwerk, das den Raum verdoppelt und krümmt, oder seine „Blaue Laterne',' die aus einer ansonsten praktisch unsichtbaren Ecke des Gebäudes ein kaltes Licht verbreitet, zeigen dies deutlich. Karsten Födingers Zusammenschluss von zwei ehemaligen Hotelzimmern könnte auch als Beispiel dafür dienen, wie ein spezifischer Topos mit einem anderen, ebenso konkreten Raum in Verbindung gebracht wird und so ein dritter, bis dahin nicht existenter, eigenständiger Raum entsteht. Vielleicht ergibt sich auch ein U-Topos, aber der ist dann ein Nicht-Raum, der (im Gegensatz zu den meisten Utopien) nichts Besonderes verheißt. Was das angeht, gehört Rita Rohlfings blauer, fast filmischer Raum in die gleiche Kategorie von Interventionen; er zielt darauf ab, zwischen dem konkreten Ort und einem anderen imaginären Ort eine Brücke zu schlagen. Es geht hier um einen Prozess der Allokation - oder vielleicht sogar einer Dislokation -, durch die das Vorhandene eine Ausweitung erfährt.

 

Inklusive standortspezifische Strategien enthalten und entfalten Geschichten, Stimmungen und Bedeutungen, die einem bestimmten Ort innewohnen. Gleichzeitig tendieren sie dazu, die Erwartungen und Vorstellungen des Besuchers einzubeziehen. Dadurch entwickeln und erarbeiten die Werke das, was - möglicherweise nur potenziell - bereits vorhanden ist, und fügen es zusammen. In einem Ambiente wie dem Hotel Beethoven könnten die enthaltenen Geschichten natürlich aus vielfältigen imaginären Stimmen von Gästen auf der Durchreise bestehen. Sie könnten auch in den Fluren, Bars oder Foyers des Hotels zu finden sein. Sie alle sind Topoi aus Filmen und der modernen Literatur, bedeutsame Orte, an denen sich Menschen treffen oder auffallend anonym aneinander vorbeigehen, an denen sie Floskeln austauschen, Nachrichten hinterlassen oder Zufallsbegegnungen erleben, die den Lauf ihres Lebens verändern. Tony Trehys Schrift an der Wand beschwört gesprochene, gedachte oder geträumte Worte von Menschen herauf, die diesen Raum vielleicht bewohnt haben. Jedes dieser Worte schafft einen intimen Moment in Raum und Zeit, der von den anderen Zimmern und Diskursen des Hotels isoliert ist. Es sind keine zusammenhängenden Sätze, sondern an die Abmessungen des Raumes angepasste Fragmente. Keine einzelne Handlungsebene darf unser Erleben dieser spezifischen Umgebung definieren. Achim Zemans Herangehensweise ist eindeutig expansiv, aber außerdem bezieht oder vielmehr hüllt er den Betrachter und den Raum in einen dynamisch-optischen Fluss ein, der die strukturelle Energie der Hotelarchitektur aufnimmt und umleitet.

 

Präzisionsgeleitete standortspezifische Strategien sind schwieriger zu definieren. Sicherlich haben sie nichts mit Wunschträumen von Exaktheit oder mit klaren geometrischen Formen zu tun, auch zielen sie nicht allein darauf ab, das Bestehende zu definieren. Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie versuchen, den Ort auf eine poetische Ebene zu heben, aber ohne den Bezug zum eigentlichen Raum, in dem die Arbeit aufgestellt ist, zu verlieren. Kontextbasierte Kunst bedeutet notwendigerweise mehr als nur einer Sache, die nun einmal da ist, etwas aufzupfropfen oder hinzuzufügen. Um kontextuell relevant zu sein, muss die Intervention das Terrain sorgfältig sondieren - und schließlich verändern. Auf der Basis einer Analyse - entweder der Phänomenologie des Raums oder der sozialen Struktur und der Semiotik seiner Architektur - lässt sich ein Diagramm seiner Funktionen erstellen, das den Ausgangspunkt für die nächste Konstruktionsphase bildet: die Entwicklung eines eingefügten Raums. Der eingefügte Raum kann den ersten verdrängen, wie z. B. in Nicola Schudys humorvoll destabilisierendem Werk, bei dem der Boden zur Wand wird; ebenso kann es aber auch den umgebenden Raum überfluten, wie die Farbfelder, die den Betrachter in den Arbeiten von Jan van der Ploeg oder Yvo Hartmann einhüllen. Präzisionsgeleitete Werke müssen den Betrachter nicht unbedingt einbeziehen; manchmal schließen sie ihn sogar unverhohlen aus, wie beispielsweise Daniel Göttins Raum, den man kaum betreten kann, ohne die kühle und zerbrechliche Anordnung von Bändern und Streifen durcheinander zu bringen.

 

Inzwischen sollte deutlich geworden sein, dass die oben erwähnten Charakteristika der Interventionen im ehemaligen Hotel Beethoven in der Bonner Innenstadt keine klar voneinander abgrenzbaren Kategorien darstellen, denen sich die künstlerischen Beiträge eindeutig zuordnen lassen. Expansion. Inklusion und Präzision sind miteinander verflochten und oft schwer voneinander zu unterscheiden. Was das Hotel Beethoven angeht, so ist es wohl kaum noch ein Ort, der von Touristen und Geschäftsleuten frequentiert wird. Es ist jetzt zu einem Ort für kreative Experimente und ästhetische Veränderungen geworden. Aber ist nicht dieses besondere Projekt, das zu Beginn des letzten Winters dieses Jahrzehnts entstand, eine fantasievolle Erkundung des blauen Hotels, das allen Hotels innewohnt, des Hotels, das mehr ist als nur ein komfortabler Ort für Übernachtungen, nämlich ein Raum der kleinen Heterotopien, der intimen Schlupflöcher, der Zonen der Ab- oder Anwesenheit inmitten eines generalisierten und kontrollierten öffentlichen Raums?

 

Prof. Dr. Mikkel Bogh

 

 

 

 

Blue Hotel

 

The artistic interventions in the now defunct Hotel Beethoven in Bonn are all in their own specific ways reminiscent of site-specific art practices that emerged and were shaped from the mid-1960s through the mid-1970s, developed by artists interested in expanding the field of aesthetic experience and research beyond the confines of the traditional gallery space. Subsequent elaborations of the early interventions in architectural, urban, social or natural space have broadened and deepened the scope of locational strategies. Today, in fact, we are witnessing a plethora of art practices related to public space, even to the extent that major exhibitions of contemporary art offen comprise as much documentation of activities outside of the museum as they present works made to be shown in a gallery space. Hotel Beethoven, as mildly transformed by a group of visual artists in the early winter of 2009, defines its own niche and its own criteria of precision and relevance within this highiy expanded field of locational art. Like other site-specific projects this also puls an emphasis on both the temporality and the bodily basis of experience. Its works and interventions cover and transform both walls and floors, inside and outside spaces, Windows and roof, thereby prompting the viewer to move around the building without offering any privileged point of view from which one would get the total picture. The viewer is never plainly situated in front of the work; the works presented in Hotel Beethoven form an integral part of the surroundings, a part of the space we as viewers inhabit and of the light by which we see. And like many other public and temporary projects this one challenges the conventional perception of the site. It is as if this hotel, no longer in function and soon to be torn down, is temporarily brought back to life, however to another kind of life than before, a second life deprived of the routines and codes of comfortable hotel living. It has become a strange locale permeated by a sort of ghostly, nostalgic and poetic atmosphere in which nothing is predictable anymore and all the features of our comfort zone have vanished. Thus, perceived through the lenses of the common hotel user this space has lost its immediate recognition. In its own silent way, it demands to be experienced differently.

 

However, the Hotel Beethoven project, far from being a hackneyed visualisation of the Freudian uncanny, cannot be properly described in terms of estrangement or even deconstruction. It cannot be denied that in a very general sense these works are transforming the site into something it was not before, thereby forcing us, as it were, to rearrange our understanding of the site. One could say that in so far as they take advantage of its dysfunctional state, these works are changing the value of the hotel by unfolding hidden potentials and unseen perspectives. But rather than instigating processes of estrangement or defamilianzation that distance the viewers, the interventions in Hotel Beethoven, however diverse in their approaches, aim at expansion, inclusion and precision.

 

Expansive locational strategies are defined by the work's ability to intervene in a given location in such a way that a set of possible readings and interpretations of that location opens up without resolution. Expansiveness in this sense means a loosening of perceptual and interpretive borders constricting the meaning produced here. It also means making passages between the common usage of a place on the one side and its imagined existence on the other. Christoph Dahlhausens mirror floor piece that doubles and folds the room, or his 'Blue lantern' shedding a cold light from an otherwise virtually invisible corner of the building, are cases in point. Karsten Födinger's merger of two former hotel rooms could also serve as an example of how a specific topos is brought into contact with another equally concrete space, thus creating a third not yet existing and autonomous space. It may be that a u-topos emerges, but it is a non-place that does not romise anything in particular (contrary to most utopias). In this regard Rita Rohlfing's blue, almost cinematic room belongs to the same category of interventions; it aims at bridging the concrete location and an imaginary other place. What is at stake here is a process of allocation - or maybe even a dislocation by which the given is expanded.

 

Inclusive locational strategies involve and unfold stories, atmospheres, and meanings embedded in a particular site. At the same time they tend to include the expectations and imaginings of the visitor. By doing so the works evolve, elaborate and assemble what is there already, albeit maybe in a potential state. Clearly in a setting like Hotel Beethoven, stories included could be the imagined multiple voices of guests passing through the city. And it can be the spaces of hotel corridors, bars or lobbies, all topoi of movies and modern literature, significant places where people meet or pass by each other in conspicuous anonymity, places where people exchange phrases, leave messages or experience accidental encounters that change the course of a life. Tony Trehy's wall-writing piece conjures words said or thought or dreamed by people who might have stayed in the room, each of them creating an intimate spatio-temporal unit isolated from the other rooms and the other discourses in the hotel. These phrases do not form coherent sentences, but are fragmented according to the dimensions of the room. Not one single storyline is allowed to define our experience of this specific environment. Achim Zeman, for his part, is obviously expansive in his approach, but by the same token he includes or rather engulfs the viewer and the present space into a dynamic optical flow that redirects the structural energies inherent in the hotel's architecture.

 

Precision-driven locational strategies are harder to define. They certainly have got nothing to do with fantasies of exactitude or with clearly drawn geometrical shapes, nor do they merely intent to define what is there. If anything, they are characterised by an attempt to analyse the location with a view to lifting this space into a poetic sphere, but precisely without losing the grip on the primary location, the space at hand, the room in which the work is installed. Context based art is necessarily more than installing or adding something on top of what is already created once and for all. In order to be contextually relevant, the intervention will have to carefully analyse the premises - and eventually to alter them. On the basis of an analysis - be it an analysis of the phenomenology of space or be it an analysis of the social structure and the semiotics of its architecture - a diagram of its functions can be made, forming the point of departure for a next constructive phase: The development of an inserted space. The inserted space might displace the first one, as e.g. in Nicola Schudy's humorously destabilizing floor-becoming-wall piece, but it might as well consist in an overflow of ambient space like the colour fields enveloping the viewer in the contributions of Jan van der Ploeg or Yvo Hartmann. Precision-driven work does not necessarily include the visitor; sometimes it even has a blatantly excluding effect as for example in Daniel Göttin's room, where it is hardly possible to enter without disturbing the cool and fragile arrangement of ribbons and stripes.

 

It should be clear by now that the above-mentioned characteristics of the interventions in the former Hotel Beethoven in downtown Bonn are anything but separate categories into which each of the artistic contributions would nicely fit. Expansion, inclusion and precision are interwoven dimensions, often hard to distinguish from one another. As far as the hotel is concerned, well, perhaps it is no longer this place frequented by tourists and businesspeople. It has now become a place for creative investigation and aesthetic rearrangements. But then again, is not this particular project, unfolding in the last early winter of the decade, an imaginative exploration of the blue hotel inherent in all hotels, the hotel that is more than just a comfortable place to stay overnight, but which is also the place of small heterotopias, intimate loopholes, zones of absence or presence, in the midst of a generalised and controlled public space?

 

Prof. Dr. Mikkel Bogh